Abb.1 — Blick in die Eingangshalle des WWC
36. AFCEA-Fachausstellung am 10. und 11. Mai 2023 im World Conference Center (WCC) Bonn
Zurück in die Zukunft? Gedanken rund um eine Industriemesse für militärische Informations- und Kommunikationssysteme
Bericht und Fotos von Oberst a.D. Peter Warnicke
Am 10.05.2023 habe ich als Vertreter des Fernmelderings e.V. die 36. AFCEA-Fachausstellung im WCC Bonn besucht, um mich in Anlehnung an meinen Besuch in 2019 (iBericht in F‑Flagge 2/2019, Seite 20 — 22) über die Weiterentwicklungen in einigen Bereichen der Netzwerktechnik zu informieren – mein Themenschwerpunkt in meiner letzten aktiven Tätigkeit als Referatsleiter „Netze“ im BAAINBw. Die AFCEA-Fachausstellung ist eine Art Industriemesse, auf der in diesem Jahr rund 250 Aussteller ihre Produkte der Informations- und Kommunikationstechnik (IKT) im Verteidigungs- und Sicherheitsbereich ausstellten (siehe Abb. 1).
Auf der Ausstellung traf ich übrigens auch auf Herrn Oberstabsfeldwebel a.D. Jürgen Görlich, den ehemaligen Ersten Stellvertreter des Bundesvorsitzenden des Deutschen Bundeswehrverbands (bis Nov. 2021), der sich jetzt im Team “Gesichter des Lebens” für die Invictus Games (invictus – lateinisch für unbezwungen) einsetzt. Diese internationale Multisportveranstaltung im paralympischen Stil wird vom 09. — 16. September 2023 in Düsseldorf ausgerichtet. Dabei messen sich bei Einsätzen an Leib und Seele geschädigte Militärangehörige und Veteranen in vielen verschiedenen Sportdisziplinen. Mit der international ausgezeichneten Fotografin Daniela Skrzypczak war Oberstabsfeldwebel a.D. Jürgen Görlich bei der AFCEA-Fachausstellung mit einem Stand für “Gesichter des Lebens” vertreten. Der neue Bildband von Daniela Skrzypczak zeigt auf 190 Seiten mit 600 beispielhaften Fotos einfühlsam die Geschichten von Soldaten, Veteranen, Polizisten und Feuerwehrangehörigen, die im Einsatz physische und psychische Schäden erlitten haben.
Zurück zum Thema Netzwerktechnik: Auf dem Stand der Firma dainox GmbH traf ich alte Bekannte aus meiner aktiven Zeit wieder. Die Mitbegründer der Firma, Herr Dr. Tarhanjan und Herr Dempfle (siehe Abb. 2), informierten mich über ihr neuestes Hardware-Modul. Ihre dainBox SA (siehe Abb. 3) ist Router, Firewall, Serverplattform, Intrusion Prevention System, Session Border Controller, Callmanager und Webserver in einem.
Abb. 2 — Herr Dr. Tarhanjan (2.v.l.), Herr Dempfle (3. v.l.), Herr Haselhoff (2. v.r). mit zwei Messebesuchern auf dem dainox-Stand
Abb. 3 — Die dainBox der Firma dainox — Schutzklasse IP68 aus einem Aluminiumblock gefräst
Die Hardware ist speziell für den mobilen Einsatz unter härtesten Bedingungen konzipiert und erfüllt die Bedingungen der Schutzklasse IP 68. Das bedeutet, dass sie absolut staub- und wasserdicht bis 1 Meter Wassertiefe ist – mehr geht (fast) nicht! Einzig der Schutz gegen Hochdruck-/Dampfstrahlreinigung (Endziffer 9) und größere Wassertiefen wird nicht garantiert. Und in Sachen Ausbildung und Bedienung der Systeme hat sich auch einiges getan. Herr Haselhoff (siehe Abb. 2) hat mir einen Einblick in eine neue Bediensoftware gewährt, die es ermöglicht, mit deutlich weniger Ausbildungsaufwand einen Netzwerkknoten oder auch ein komplettes Netzwerk mit allen Konfigurationen bezüglich Bandbreite, Sprach- und Datendiensten schon nach relativ kurzer Ausbildungszeit zu konfigurieren. Mit einigen wenigen Eingaben können in einer übersichtlichen Menüführung in kurzer Zeit alle erforderlichen Eingaben zur anschließend automatisch durchgeführten Konfiguration eines Netzwerkknotens erledigt werden. Für die automatische Konfiguration benötigt das Programm dann ca. 20 Minuten. In dieser Zeit kann zum Beispiel der Truppaufbau, der Antennenaufbau und die Tarnung durchgeführt werden. Ein erheblicher Fortschritt, wenn man bedenkt, dass die ersten Netzwerktrupps der Weitverkehrs- und auch Gefechtsstandebene erst nach Monaten der Ausbildung durch unsere Soldaten zuverlässig eingesetzt werden konnten.
Auf dem Stand der Steep GmbH traf ich dann Herrn Oberstleutnant Maurizio Klug (siehe Abb. 4), einen meiner damaligen Projektleiter, der für gefechtsstandbezogene Netzwerktechnik zuständig war und ist.
Abb. 4 — Oberstleutnant Klug auf dem Stand der Steep GmbH mit einem Kleinstnetzwerk.
Den damaligen Hauptmann Klug habe ich im April 2008 für den Dienstposten eines Projektreferenten im seinerzeitigen IT-AmtBw gewinnen können. Sinngemäß mit den Worten, dass er mindestens 5 Jahre auf dem Dienstposten bleiben müsse, trägt er mittlerweile über 15 Jahre Verantwortung für die Projekte, die mit den Netzen auf Gefechtsständen zu tun haben – und das sicherlich nicht zum Nachteil der Truppe. Kontinuität hat im Rüstungsgeschäft eben auch erhebliche Vorteile. Eigentlich ist es schon ein Muss, denn das komplexe Beschaffungswesen mit seinen eher hinderlichen rechtlichen und auch politischen Vorgaben macht es selbst den fähigsten und erfahrensten Projektleitern nicht gerade leicht. In Verantwortung von Oberstleutnant Klug wurden z.B. die verlegefähigen Teilnehmernetzwerke und damit auch die Kleinstnetzwerke sowie auch andere Projekte regelmäßig im geplanten Zeit- und Finanzrahmen in die Bundeswehr eingeführt. Und diese Systeme haben sich auch in klimatisch schwierigen Einsätzen, wie in Afghanistan und Mali bewährt. Und der Bedarf an Kleinstnetzwerken, die durch einzelne Soldaten zu tragen und schnell einsetzbar sind, ist seit der Einführung der ersten Geräte im Jahr 2014 in der Bundeswehr offenbar stetig gewachsen. Mittlerweile sind rund 200 davon beschafft worden. In dem zunächst als Rucksacksystem konzipierten Funknetz werden zwei WLAN-Frequenzen in den Bereichen bei 2,4 GHz (2,3995 bis 2,4845 GHz) und 5 GHz (5,150 bis 5,350 GHz und 5,470 bis 5,725 GHz) mit Reichweiten bis zu 200 Metern genutzt. Dabei wird eine Frequenz als Anschluss der Teilnehmer und eine Frequenz für die Vernetzung mehrerer Netze genutzt. Im Laufe der Zeit gab es Verbesserungen und Erweiterungen des Systems, z.B. eine “aufrollbare” Antenne. Bei der Suche nach höheren Reichweiten und im Einsatz robusteren Funkmodulen für die Kleinstnetzwerke hat Oberstleutnant Klug jetzt vier Prototypen mit LTE-Funksystemen (LTE = Long Term Evolution) beschafft. Die Idee, andere Funkstandards in diesem tragbaren System zu nutzen, z.B. LTE, hatte ich bereits 2019 in meinem Bericht angesprochen. Auch die 60-GHz-Funktechnik – seinerzeit eines meiner Lieblingsthemen – hielt ich damals und halte ich auch heute in diesem Zusammenhang für denkbare Funkmodule in den Kleinstnetzwerken geeignet. Die 60-GHz-Frequenz könnte nach Aussage von Herrn Technischen Regierungsdirektor Olaf Schröder, den ich ebenfalls auf der Fachausstellung traf (damals einer meiner Referenten, heute im BMVg tätig), durchaus wieder in den Blick der Nutzer und Beschaffer der Bundeswehr geraten. Durch die starke Dämpfung in der Atmosphäre eignet sich diese Frequenz m.E. besonders gut für die Nutzung auf Gefechtsständen, da sie große Datenübertragungsraten im Bereich bis zu 500 m, vielleicht auch 1 km zulässt, dann aber nach mehr als 2 km aufgrund der hohen Dämpfung praktisch nicht mehr aufklärbar ist. Darum erreicht man bei Nutzung dieser Frequenz auch eine sehr hohe Störresistenz gegen feindliche Störmaßnahmen (aus mehr als 5 km Entfernung praktisch unmöglich). Bereits in den Jahren 1999/2000 hatte die Bundeswehr mit dem Funknetzanteil des BIGSTAF-Systems (BIGSTAF = breitbandiges integriertes Gefechtsstandfernmeldenetz) 13 Trupps in einem Truppenversuch mit 60-GHz-Funkgeräten (3 Geräte im 51 GHz-Bereich für Richtfunk-Verbindungen bis 3 km) erfolgreich getestet. Allein die hohen Kosten führten dazu, dass das System nicht in die Beschaffung ging. Schade eigentlich, denn die volle Arbeitsfähigkeit der Arbeitsplätze z.B. eines Brigade- oder auch Divisionsgefechtsstandes wäre wohl in einer halben Stunde zu erreichen gewesen, da die sonst zeitaufwändige Verkabelung durch ein selbstorganisierendes Funknetz hätte ersetzt werden können. Nun, vielleicht wird meine Vision aus dem Jahr 2000 über ein selbstorganisierendes, robustes, störresistentes und im Prinzip nicht aufklärbares Gefechtsstandfunknetz mit hohen Datenübertragungsraten ja doch noch Realität – nahe dran waren wir ja schon mal. Insofern kann man hoffentlich sagen: Zurück in die Zukunft!
Nach meinem Besuch auf dem Steep-Stand ging es dann zum Stand der Blackned GmbH, die in Kooperation mit der Steep GmbH seinerzeit die Kleinstnetzwerke konzipierte. Mit Ihrer Kompetenz für Managementsysteme sowie dem Wissen um militärische Bedarfe und Erfordernisse – zwei Firmengründer waren seinerzeit als Zeitsoldaten der Fernmeldetruppe zuletzt an der damaligen Fernmeldeschule, heute IT-Schule der Bundeswehr, eingesetzt – haben sie Ihr Netzwerkmanagementsystem XONITOR weiterentwickelt und an die heutigen Bedürfnisse angepasst. Dass mit der Fa. Rheinmetall ein finanzstarkes Unternehmen unter 40% Beteiligung bei der Blackned GmbH eingestiegen ist, zeigt m. E., dass sie mit ihrer Kompetenz im Bereich Netzwerkmanagement überzeugen können. Ihr aktuelles Tool “TacticalCore” (siehe Abb. 5), das auch im Rahmen des Programms „Digitalisierung Landbasierter Operationen (D‑LBO)“ genutzt werden soll, ermöglicht eine Nutzung über alle Kommunikationssysteme, ob analog oder digital. Die selbstorganisierende, durchgängige Software-Suite passt sich dabei dynamisch und ohne manuelles Eingreifen an die sich im Einsatz militärischer Kräfte ständig ändernde Netzwerktopologie an. Die Dienste werden automatisch an die Verfügbarkeit und Bandbreitenkapazität angepasst.
Abb. 5 — Detailansicht auf die Auslastung eines Netzwerkmoduls im Netzwerkmanagementsystem
Abb. 6 — Herr Broghammer (links im Bild) vor einem geöffneten Gerät des neuen Richtfunksystems MH500evo mit einer Größe, die auch für eine Mastmontage geeignet ist
Zum Abschluss meines Messebesuchs war ich auf dem Stand der Firma Leonardo (ehemals SELEX Communications GmbH). Herr Broghammer erläuterte mir hier die Eigenschaften und Leistungsmerkmale ihres neuesten Richtfunksystems (siehe Abb. 6): Moderne Richtfunkgeräte für den mobilen Einsatz können heute mit ihren aktuellen Funkmodulationen auf den Funkstrecken Datenraten von bis zu 300 Mbit/s erreichen (je nach Modulationsart). Dabei müssen allerdings gute Ausbreitungsbedingungen vorherrschen, um ausreichende Entfernungen (deutlich mehr als 20 km) zu erzielen. Das bedeutet, dass eine “quasioptische Sichtverbindung” gegeben sein muss (siehe Abb. 7 oben), insbesondere bei höheren Frequenzen. Es darf also kein Hindernis in die direkte Funkverbindung ragen. Denn hier gilt die Regel, je höher die Frequenz, desto geringer die Reichweite und desto weniger oder gar nicht dürfen Hindernisse in die Verbindung hinein ragen. Und insbesondere die ersten 1000 m der 1. Fresnelzone (Rotationsellipsoid, siehe Abb. 8) müssen absolut frei von Hindernissen sein.
Abb. 7 – Drei Beispiele von sogenannten Geländeschnitten sollen Möglichkeiten und Grenzen von Richtfunkverbindungen aufzeigen. Die Geländeschnitte sind mit Hilfe eines im Internet frei zugänglichen Planungstools der Firma Pan Dacom Direkt (Link s.u.) erstellt und vom Autor nachgezeichnet worden. Die Geländeschnitte stammen aus dem Westerwald. Die Bewertungen sind vom Autor. ( https://www.pandacomdirekt.de/richtfunkkonfigurator )
Abb. 8 — Fresnelzone über hügeligem Gelände, Erdkrümmung überzeichnet. Da sich Hindernisse in der Nähe der Sender besonders stark als Dämfpung auswirken, darf auf den ersten 1000 m von Sender entfernt kein Hindernis in die Verbindung hinein ragen.
Quelle für Bild: https://de.wikipedia.org/wiki/Fresnelzone
Mit dem neuen Richtfunksystem – ein Nachfolger der MH 500-Serie, die im Terrestrischen Übertragungssystem Verwendung findet – bietet die Firma Leonardo ein Richtfunksystem in den Bändern 1350 — 2690 MHz und 4400 — 5000 MHz an. Leider wurden Anfang der 2010er Jahre wichtige Frequenzbänder, bzw. Teile davon, die in ehemals militärischer Nutzung waren, von der Bundesnetzagentur – wohl eher aus wirtschaftlichen Gründen – verkauft, um sie im GSM-Mobilfunk (870 — 960 GHz), im DAB-Rundfunk (1452–1492 GHz) und später im LTE-Mobilfunk (in den Bereichen 700 und 800 GHz) zu nutzen. Ausgenommen sind heute nur noch 2 x 8 MHz Bandbreite, die für Funkanwendungen der BOS (Behörden und Organisationen mit Sicherheitsaufgaben) und des Militärs vorgesehen sind (698 — 703 MHz, 733 — 736 MHz, 753 — 758 MHz, 788 — 791 MHz). Dafür wurden die militärisch nutzbaren Richtfunkfrequenzen ansonsten auf die oben bezeichneten höheren Frequenzbereiche beschränkt. Und damit in Bereiche, die, wie ich zuvor erwähnte, geringere Reichweiten und größere Empfindlichkeit gegen Hindernisse in der Funkstrecke bedeuten. In diesen Frequenzbereichen sind zwar durchaus höhere Datenübertragungsraten möglich, dafür ist eine quasioptische Sichtverbindung aber obligatorisch. Das ist u.a. bei hohem Baumbestand für eine militärische Nutzung nicht so günstig, weil es die Planung schwieriger macht und die Anzahl der im Einsatz notwendigen Trupps erhöht.