Nach Vorstellung der Bildtafel zum Einsatz der Heeres-Nachrichtentruppe im Rußlandfeldzug (1941 — 1944) wird die Serie zu o.a. Bildtafelausstellung mit der Vorstellung der Bildtafel zu Heeres-Nachrichtentruppe und 20. Juli 1944 fortgesetzt.
Oberst a.D. Peter Uffelmann
Vorbemerkung:
General der Nachrichtentruppe Erich Fellgiebel hat aufgrund seiner Mitwirkung am militärischen Widerstand vom 20. Juli 1944 einen festen Platz in der Tradition der Bundeswehr und auch in der Traditionspflege des Fernmelderings e.V.. In diesem Zusammenhang erhielt die Kaserne des heutigen Ausbildungszentrums Cyber- und Informationsraum (AusbZ CIR) in Pöcking bei Starnberg 1960 den Namen „General-Fellgiebel-Kaserne“.
Die aktuellen RICHTLINIEN ZUM TRADITIONSVERSTÄNDNIS UND ZUR TRADITIONSPFLEGE der Bundeswehr enthalten jedoch zum Thema „Wehrmacht“ unter Nr. 3.4.1 folgende Klarstellung, auf die in diesem Zusammenhang hingewiesen werden soll: „Der verbrecherische NS-Staat kann Tradition nicht begründen. Für die Streitkräfte eines demokratischen Rechtsstaates ist die Wehrmacht als Institution nicht traditionswürdig. Gleiches gilt für ihre Truppenverbände sowie Organisationen, die Militärverwaltung und den Rüstungsbereich.
Die Aufnahme einzelner Angehöriger der Wehrmacht in das Traditionsgut der Bundeswehr ist dagegen grundsätzlich möglich. Voraussetzung dafür ist immer eine eingehende Einzelfallbetrachtung sowie ein sorgfältiges Abwägen. Dieses Abwägen muss die Frage persönlicher Schuld berücksichtigen und eine Leistung zur Bedingung machen, die vorbildlich oder sinnstiftend in die Gegenwart wirkt, etwa die Beteiligung am militärischen Widerstand gegen das NS-Regime oder besondere Verdienste um den Aufbau der Bundeswehr.“
Den Plan zum Staatsstreich vom 20. Juli 1944 hatten die Angehörigen des militärischen Widerstands mit einem regulären Plan der Wehrmacht zur Mobilmachung der Ersatz- und Ausbildungstruppen im Fall eines inneren Notstands verbunden. Für das Gelingen dieses „Unternehmens Walküre“ [1] war es u.a. wichtig, die Befehle zu seiner Durchführung an die Wehrkreisbefehlshaber (WKBefh) in Deutschland sowie an die Wehrmachts- bzw. Militärbefehlshaber (Wm-/MilBefh) in den besetzten Gebieten Europas zu übermitteln sowie gleichzeitig zumindest zeitweise zu verhindern, daß diese Gegenbefehle aus dem Führerhauptquartier (FHQ) erhielten. Darüber hinaus mussten die Nachrichtenverbindungen zur Führung der deutschen Streitkräfte an allen Fronten uneingeschränkt aufrechterhalten werden – insbesondere zur Heeresgruppe Mitte auf ihrem Rückzug aus Weißrußland aufgrund der sowjetischen Sommeroffensive („Operation Bagration“) und zum Oberbefehlshaber West bei seinem Abwehrkampf gegen die alliierte Invasion in der Normandie („Operation Overlord“).
Militärische Lage an der Ost- und Westfront sowie in Italien am 20. Juli 1944, Graphik: Quelle 11, Abschnitt 2.1
Insofern war es von großer Bedeutung, daß das Spitzenpersonal des Heeresnachrichtenwesens (HNW) und der Wehrmachtsnachrichtenverbindungen (WNV), General der Nachrichtentruppe (GenNachrTr) Erich Fellgiebel als Chef des HNW und der WNV, Generalleutnant (GenLt) Fritz Thiele als Chef der Amtsgruppe WNV und Oberst d.G. Kurt Hahn als Chef des Stabes HNW am Widerstand gegen das NS-Regime mitwirkte und am 20. Juli 1944 an der Durchführung der Maßnahmen des „Unternehmens Walküre“ beteiligt war.
GenNachrTr Fellgiebel konnte dabei aufgrund seiner Position dem militärischen Widerstand Zugangsmöglichkeiten sowie Informationen zu und über alle Wehrmachtstruppenteile, aber auch Industrieunternehmen sowie die Lage an allen Fronten und Zugriff auf die Nachrichtenverbindungen zur Durchgabe der „Walküre“-Befehle verschaffen. Er selbst konnte uneingeschränkt umherreisen sowie dabei Kontakte knüpfen bzw. halten, und spätestens seit Februar 1943 bemühte er sich zusammen mit GenLt Thiele und Oberst d.G. Hahn, weitere Mitstreiter für den Widerstand zu gewinnen. Insbesondere mit diesen Kommunikationsexperten auf seiner Seite konnte Oberst i.G. Graf von Stauffenberg an die Planung eines umfassenden Staatsstreiches auch mit größeren Truppenbewegungen gehen.
Für GenNachrTr Fellgiebel – mit den Generalen des Oberkommandos der Wehrmacht (OKW) und des Oberkommandos des Heeres (OKH) stets in der Nähe des FHQ in Ostpreußen, des „Berghofs“ bei Berchtesgaden oder der Reichskanzlei in Berlin – war Hitler allerdings persönlich und in für die Verschwörung nützlicher Weise so gut wie unzugänglich, weil er Hitler mißliebig und aus seiner unmittelbaren Umgebung verbannt worden war. Stattdessen war der Wehrmachtsnachrichtenoffizier im FHQ, Oberstleutnant Ludolf Gerhard Sander Hitlers Ansprechstelle für alle Fragen des Nachrichtenverbindungswesens.
Von Beginn an waren deshalb die Aufgaben von GenNachrTr Fellgiebel im Rahmen des „Unternehmens Walküre“ klar umrissen: Er sollte und wollte dafür sorgen, daß die „Walküre-Befehle“ der Verschwörer reibungslos durchgegeben, alle anderen Nachrichten aber zumindest zeitlich verzögert würden. Etwas zerstören oder gar sprengen, wie später behauptet wurde, sollte er nicht – das hätte auch gar nicht funktioniert, denn das Nachrichtenverbindungssystem der Wehrmacht war bewusst dezentral sowie redundant aufgebaut und damit sicher gegen Sabotage, ein Ergebnis seines eigenen Perfektionismus. Außerdem hatte er außerhalb der sogenannten „OKW-Kriegsschauplätze“ keinen Zugriff auf die Nachrichtenverbindungen von Kriegsmarine, Luftwaffe und SS. Darüber hinaus hatten diese, aber auch die NSDAP in der Nähe des FHQ „Wolfsschanze“ Funkstellen, auf die er keinen bzw. nur unzureichenden Einfluß hatte. Im Vertrauen auf das Gelingen des Attentats und das Chaos in den ersten Stunden nahm er sich jedoch vor, je nach Lage aktiv einzugreifen.
Hitlers Anordnung nach dem mißlungenen Attentat auf ihn, bis auf Widerruf eine Nachrichtensperre zu verhängen, kam dieser Absicht von GenNachrTr Fellgiebel entgegen: Oberstleutnant Sander ließ sofort alle Nachrichtenverbindungen in der FHQ-Vermittlung im Sperrkreis I – allerdings nicht auch im Sperrkreis II – unterbrechen und befahl den Telefonisten, zwei Meter Abstand von den Vermittlungsschränken einzuhalten.
Gebäudeplan des FHQ „Wolfsschanze“ am 20. Juli 1944,
Graphik: Quelle 12
GenNachrTr Fellgiebel hatte dabei die Geistesgegenwart, trotz des offensichtlichen Überlebens von Hitler den Staatsstreich parallel dazu durch entsprechende Information von GenLt Thiele und Oberst d.G. Hahn wie geplant anlaufen zu lassen – solange es ging, denn das Überleben Hitlers hatte alles geändert: Niemand aus dessen Umgebung würde von GenNachrTr Fellgiebel Befehle annehmen, aber vielleicht würde er den anderen Verschwörern im Bendler-Block in Berlin die entscheidenden Stunden zum Gelingen des „Unternehmens Walküre“ verschaffen können.
GenLt Thiele war seit April 1942 Chef der Amtsgruppe WNV, des Teils der Nachrichtenführungsorganisation mit dem GenNachrTr Fellgiebel sowohl Zugriff auf die Nachrichtenverbindungen der Wehrmacht in den rückwärtigen Bereichen der Heeresgruppen und auf den sogenannten „OKW-Kriegsschauplätzen“ hatte, als auch starken Einfluss auf die Nachrichtenverbindungen der Deutschen Reichspost nehmen konnte. Zu ihm dürfte GenNachrTr Fellgiebel schon seit September 1939 in seiner früheren Verwendung als Chef des Stabes HNW ein besonderes Vertrauensverhältnis gehabt haben.[2] Am 20. Juli 1944 befand er sich am Dienstsitz der Amtsgruppe WNV im Bendler-Block in Berlin und sollte dort sicherstellen, daß die „Walküre-Befehle“ der Verschwörer reibungslos durchgegeben, alle anderen Nachrichten aber zumindest zeitlich verzögert würden.
Führungsorganisation des Heeresnachrichtenwesens und der Wehrmachtsnachrichtenverbindungen ab 01.10.1941,
Graphik: Bildtafel 41
Oberst d.G. Kurt Hahn war seit April 1942 Nachfolger des damaligen Generalmajors Thiele als Chef des Stabes HNW und hatte ein gutes persönliches Verhältnis zu GenNachrTr Fellgiebel, von dem er in die Umsturzpläne eingeweiht worden war. Am 20. Juli 1944 war er im Lager „Mauerwald“ des OKH in der Nähe des FHQ und hatte sicherzustellen, daß einerseits die Heeres-Nachrichtenverbindungen zur Führung der Oberkommandos der Heeresgruppen und Armeen auch nach dem Attentat, über das ihn GenNachrTr Fellgiebel telefonisch informiert hatte, an allen Fronten uneingeschränkt aufrechterhalten wurden, andererseits aber über diese Nachrichtenverbindungen keine Informationen aus dem FHQ übermittelt werden konnten.
In diesem Zusammenhang war der 20. Juli 1944 ursprünglich als „Umschalttag“ für die im FHQ „Wolfsschanze“ und auf der Vermittlung „Anna“ des OKH im Lager „Mauerwald“ aufliegenden Nachrichtenverbindungen vorgesehen gewesen. Da die sowjetischen Truppen nur noch etwa 100 km vom FHQ „Wolfsschanze“ entfernt waren, hatte man auf Befehl Hitlers bereits mit der Verlegung von OKW und OKH nach Berlin bzw. Zossen begonnen. Verschiedene Bereiche – so auch Teile des Stabes HNW – befanden sich deshalb bereits in Zossen, andere noch im Lager „Mauerwald“. Im Hinblick auf die Nachrichtenverbindungen hatte man dazu die in den ostpreußischen Vermittlungen bestehenden Schaltungen in Zossen genau kopiert: Selbst die Bezeichnungen der Vermittlungen waren die gleichen wie in Ostpreußen, nur jeweils mit dem Zusatz „Bu“ für Bunker. So bestand im Juli 1944 z.B. neben der Vermittlung „Anna“ im Lager „Mauerwald“ auch noch „Anna-Bu“ in Zossen und neben „Emma“ – dem DRP-Amt in Lötzen – gab es „Emma-Bu“ ebenfalls im Nachrichtenbunker „Zeppelin“ in Zossen. Auf die Nachrichtenverbindungen des FHQ und OKW hatte diese „Doublierung“ allerdings keine unmittelbaren Auswirkungen und hat diese höchstens unwesentlich behindert.
„Doublierte“ Nachrichtenverbindungen im Juli 1944 zwischen den OKH-Teilstäben in Zossen und Lager „Mauerwald“ sowie FHQ und den Oberkommandos an der Westfront,
Graphik: Bildtafel 41
GenNachrTr Fellgiebel hatte außer der „Sperrung“ der Nachrichtenverbindungen [3] die Verständigung der Verschwörer in Berlin übernommen und hat diese auch ausgeführt: An die Sekretärin seines vereinbarungsgemäß auf das Stichwort „Walküre“ wartenden, jedoch zeitweise nicht erreichbaren Chefs der Amtsgruppe WNV, GenLt Thiele, hatte er aber stattdessen mehrdeutig telefonisch durchgeben lassen, es sei etwas Furchtbares geschehen, der Führer lebe, und hatte diese dann noch persönlich auf die Wichtigkeit der Meldung an GenLt Thiele hingewiesen.
Obwohl GenLt Thiele vermutlich bereits so vom gescheiterten Attentat erfuhr und auch wusste, daß GenNachrTr Fellgiebel trotzdem aufs Ganze gehen wollte, behielt er das zunächst für sich. Offensichtlich verstand er den – im Beisein des nicht eingeweihten Oberstleutnants Sander – gesprochenen Satz “Es ist etwas Furchtbares passiert, der Führer lebt – Alles blockieren !” nicht als Aufforderung, trotz Hitlers Überleben weiter wie geplant vorzugehen – oder er wollte es nicht verstehen.
Für die Mitverschworenen, vor allem GenLt Thiele und den durch ihn informierten General der Infanterie (GenInf) Friedrich Olbricht, Amtschef des Allgemeinen Heeresamts und des Wehrersatzamts mag die Lage sowie weitere Absicht tatsächlich nicht ganz eindeutig gewesen sein. GenInf Olbricht, Generaloberst a.D. Erich Hoepner – bei Gelingen des Planes als „Oberbefehlshaber im Heimatkriegsgebiet“ vorgesehen – sowie GenLt Thiele gingen insofern zunächst zum Mittagessen und unternahmen auch danach so gut wie nichts zugunsten des Staatsstreiches, bis Oberst i.G. Graf von Stauffenberg selbst wieder in Berlin war. Als auch Oberst d.G. Hahn in einem weiteren Telefonat aus dem OKH-Lager „Mauerwald“ GenLt Thiele bestätigte, daß Hitler das Attentat überlebt hatte, wurden die im Walküre-Plan vorgesehenen Maßnahmen vorerst nur teilweise ausgelöst.
GenLt Thiele selbst wandte sich darüber hinaus gegen die Fortsetzung des Umsturzversuchs und hob – nach Aufhebung der Nachrichtensperre im FHQ – auch die Nachrichtensperre in Berlin zu dem Zeitpunkt auf, als die Aktionen seiner Mitverschwörer nach Ankunft von Oberst i.G. Graf von Stauffenberg in Berlin anliefen, wodurch Informationen über das gescheiterte Attentat und Gegenbefehle an die WKBefh in Deutschland sowie an die Wm- bzw. MilBefh in den besetzten Gebieten Europas weitergeleitet konnten, verließ den Bendler-Block und nahm im Reichssicherheitshauptamt Verbindung mit dem Leiter des SS-Auslandsnachrichtendienstes, SS-Brigadeführer und Generalmajor der Polizei Walter Schellenberg auf, um sich aus seiner Beteiligung am „Unternehmen Walküre“ herauszuwinden. Als GenNachrTr Fellgiebel von alldem erfuhr, sagte er zu einem Vertrauten: “Damit kommt Thiele nicht durch. So kann man es nicht machen – weder als Mensch, noch als Offizier.”
Oberst i.G. Graf von Stauffenberg aber, als er nach seiner Landung in Rangsdorf erfuhr, dass „Walküre“ noch nicht ausgelöst war, rief vom Flughafen aus GenInf Olbricht an, beteuerte, Hitler sei tot, und drängte ihn, noch vor seiner Weiterfahrt nach Berlin „Walküre“ auszulösen. Daraufhin begann dessen Chef des Stabes, Oberst i.G. Albrecht Ritter Mertz von Quirnheim, per Fernschreiben und Telefon, aber ohne Kenntnis des dazu allein – außer Hitler – autorisierten Befehlshabers des Ersatzheeres, Generaloberst Friedrich Fromm mit der Durchgabe der „Walküre-Befehle“. Vor dem Versenden der ersten Serie an Fernschreiben wurde jedoch eine folgenschwere administrative Fehlentscheidung getroffen: Der Adjutant von Oberst i.G. Graf von Stauffenberg, Hauptmann Friedrich Karl Klausing ließ sie auf Rückfrage zwar mit höchster Dringlichkeitsstufe „FRR“ einstufen, außerdem aber auch als „Geheime Kommandosache“ (GKDOS) klassifizieren. Als letztere konnten sie jedoch nicht gleichzeitig an die jeweils 20 Empfänger durchgegeben werden, sondern mussten zunächst verschlüsselt und dann einzeln sowie seitenweise versandt werden. Außerdem standen dafür statt etwa zwanzig normalen Fernschreibmaschinen nur vier Schlüssel-Fernschreibmaschinen T 52 zur Verfügung: So dauerte es etwa drei Stunden, bis das letzte dieser Fernschreiben zur Auslösung von „Walküre“ den Empfänger erreicht hatte. Und da damals auch ein Luftangriff auf München stattfand, wurde „Walküre“ zum Beispiel in Bayern gar nicht ausgelöst.
Erste Seite des ersten, vierseitigen „Walküre-Fernschreibens“,
Bild: Quelle 11 – Abschnitt 2.5
Weitere Fernschreiben mit Ausführungsdetails trafen, wenngleich mittlerweile nur noch als „Geheim“ klassifiziert, erst danach ein.
Erste Seite des zweiten, dreiseitigen „Walküre-Fernschreibens“,
Bild: Quelle 11 – Abschnitt 2.6
Hinzu kam erschwerend, daß einige dieser Fernschreiben unbemerkt auch an das Führerhauptquartier gesandt wurden, weil dieses nicht aus dem üblichen Verteiler entfernt worden war. So war man dort gut über das geplante Vorgehen der Verschwörer informiert und jene Fernschreiben überschnitten sich teilweise schon mit dem Fernschreiben von Generalfeldmarschall Wilhelm Keitel, in dem dieser jene Fernschreiben für ungültig erklärte und mitgeteilt hatte: „Der Führer lebt! Völlig gesund!“, aber auch mit entsprechenden Rundfunkmeldungen.
Für das Absetzen dieser Fernschreiben war der Nachrichtenoffizier und Leiter der Nachrichtenzentrale bzw. des Nachrichtenbetriebs im Bendler-Block, Oberleutnant [4] Wolfram Röhrig verantwortlich. Da er nicht in die Verschwörung eingeweiht war, konnte er die volle Brisanz der „Walküre-Befehle“ zwar nicht erkennen, bekam allerdings zunehmende Zweifel, ließ aber zunächst alle Befehle vorschriftsmäßig, jedoch schleppend absetzen. Nach Meldung seiner Bedenken und der bereits veranlassten Verzögerungen an seinen Abteilungsleiter, ließ er weitere Fernschreiben der Verschwörer nicht mehr absetzen. Dagegen veranlasste er die Weiterleitung eines Fernschreibens von Generalfeldmarschall Wilhelm Keitel an alle WKBefh, wonach nur noch den Befehlen von SS-Reichsführer Himmler als neuem Befehlshaber des Ersatzheeres zu folgen sei, und ließ alle bisherigen Fernschreiben für ungültig erklären. Wohl dafür, daß er die Übermittlung der „Walküre“-Fernschreiben verzögert und schließlich unterbunden hatte, wurde er nach dem 20. Juli 1944 vorrangig zum Hauptmann befördert. Nach dem 2. Weltkrieg machte er allerdings technische sowie administrative Probleme für die schleppende Weiterleitung der Fernschreiben der Verschwörer geltend, während ihn Fernschreiben aus dem FHQ gar nicht erreicht hätten, und bekannte sich nun im Nachhinein zu den Zielen der Verschwörer, die er gerne unterstützt hätte, da ihm seine Freundschaft zu dem Kabarettisten Werner Finck die Augen geöffnet hätte. Das bewusste Verschleppen der Nachrichtenübermittlung wäre dagegen eine Schutzbehauptung gewesen, mit der die Wehrmachtsführung im Nachhinein die eigenen Soldaten und Mitarbeiterinnen vor den Nachforschungen der Geheimen Staatspolizei schützen wollte.
Insgesamt kam u.a. wegen dieser administrativen, technischen und organisatorischen Mängel bei der Übermittlung der „Walküre-Fernschreiben“ die geplante Festnahme der SS- und SD-Führer sowie ‑Einheiten nur in Paris und Wien zustande, da die meisten dieser Fernschreiben die WKBefh sowie die Wm- bzw. MilBefh viel zu spät erreichten, als die Gegenmaßnahmen des NS-Regimes schon zu greifen begannen.[5]
Nach der Verhaftung von GenNachrTr Fellgiebel noch am 20. Juli 1944 wurde der Chef der Amtsgruppe WNV, GenLt Thiele, mit der Führung des Heeres- und Wehrmachts-Nachrichtenverbindungswesens beauftragt. Als auch dieser aufgrund von ihm abgezeichneter Dokumente, die sich mit der nachrichtentechnischen Vorbereitung des „Unternehmens Walküre“ befassten, und seines, ihn schwer belastenden Telefontagebuchs am 11. August verhaftet wurde, holte sich der amtierende Chef des Generalstabes des Heeres, Generaloberst Heinz Guderian, seinen ehemaligen – inzwischen als Kommandeur die 277. Infanterie-Division in der Normandie führenden – Nachrichtenführer GenLt Albert Praun zurück und veranlasste – unter Beförderung zum GenNachrTr – seine Berufung zum Chef des HNW und der WNV.
Insgesamt trug das zuverlässige Funktionieren der HNachrTr und der durch sie bereitgestellten Nachrichtenverbindungen auch am 20. Juli 1944 mit dazu bei, daß einerseits überhaupt erste Maßnahmen des „Unternehmens Walküre“ eingeleitet, aber andererseits auch die Gegenbefehle zu seiner Niederschlagung weitergeleitet werden konnten.
Selbst GenNachrTr Fellgiebel konnte dies letztlich nicht verhindern, während GenLt Thiele die den Verschwörern in Berlin durch die Nachrichtensperre im FHQ zunächst verschaffte Zeit in einer Mischung aus Lähmung sowie Unschlüssigkeit verstreichen ließ und sich später u.a. durch Aufhebung der Nachrichtensperre auch in Berlin gegen die Fortsetzung des Umsturzversuchs wandte sowie versuchte, sich aus seiner Beteiligung am „Unternehmen Walküre“ herauszuhalten. Man kann ihm allerdings zu Gute halten, daß er nach dem offensichtlichen Scheitern des Attentats auf Hitler und der absehbaren Folgen niemanden mehr in den Umsturzversuch hineinziehen wollte.
Quelle:
Tafel 41 der Bildtafelausstellung “Fernmeldetruppen – Gestern und heute”
Weitere Quellen und zusätzliche Informationen zum Thema:
- Meyer, Wilhelm/Steinborn, Hartmut: Widerstand gegen den Nationalsozialismus durch Offiziere der Nachrichtentruppe – General der Nachrichtentruppe Erich Fellgiebel, Generalleutnant Fritz Thiele und Oberst d.G. Kurt Hahn, in: Bespiele zur Traditionspflege aus der FmTr FmVbdgDst; FmS/FSHELT – Grp Weiterentwicklung/ Dezernat 2, Pöcking – Mai 2001
- Schrenk, Georg: Erich Fellgiebel, General der Nachrichtentruppe — „Vorbild als Soldat und Mensch“; in: Telegraphen-/ Nachrichten-/ Fernmeldetruppen und Führungsdienste – Führungsunterstützung seit 1899, Hrsg.: Fernmeldering e.V. 1999 – S. 89 ff.
- Schrenk, Georg: Erich Fellgiebel, General der Nachrichtentruppe; in: Antenne-Sonderausgabe „100 Jahre Fernmeldetruppen“, FmS/FSHElT 1999 – S. 15 ff.
- Keil, Lars-Broder: Ein Verschwörer, der lange als Versager galt; in: WELT, Stauffenberg-Serie 2 v. 17. Juli 2012 unter
- Keil, Lars-Broder: Erich Fellgiebel (1886 — 1944) – »Man muss eben mal seinen Kopf riskieren«, in: Vollmer, Antje/Keil, Lars-Broder: Stauffenbergs Gefährten – Das Schicksal der unbekannten Verschwörer, Bonn 2013(bpb-Schriftenreihe Band 1347) – S. 45 ff.
- Hoffmann, Peter: ZU DEM ATTENTAT IM FÜHRERHAUPTQUARTIER „WOLFSSCHANZE” AM 20. JULI 1944; in: Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte 1964, Heft 3 – S. 254 ff.
- Hoffmann, Peter: WARUM MISSLANG DAS ATTENTAT VOM 20. JULI 1944?; in: Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte 1984, Heft 3 – S. 441 ff.
- Heinemann, Winfried: General Erich Fellgiebel und die Rolle der Kommunikationsmittel am 20. Juli 1944, in: ders. (Hrsg.), Führung und Führungsmittel, Potsdam 2011 – S. 57 — 66
- Heinemann, Winfried: Das Ende des Staatsstreichs – Die Niederschlagung des 20. Juli 1944 im Bendlerblock, in: Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte 2020, Heft 1 – S. 1 ff.
- Helmecke, Chris: Der 20. Juli 1944 – Protokoll eines Staatsstreiches,
- Neebe, Reinhard (Hrsg.): General Erich Fellgiebel und der 20. Juli 1944 – Militärkarriere und Familie — Attentat — Schicksal der Angehörigen — Revisionen des Geschichtsbildes, in: Digitales Archiv Marburg
- ZMSBw-Mediathek – Aktuelle Karte: Lageplan der „Wolfsschanze“
- Wikipedia-Eintrag zu „Unternehmen Walküre“
- Wikipedia-Eintrag zu „Wolfram Röhrig“
- Schmid, Hans: Graf Stauffenberg in Film und Fernsehen – Was geschah wirklich am 20. Juli 1944? — Teil 2
Fußnoten:
[1] „Unternehmen Walküre“ war ursprünglich der Deckname für einen Plan zur Mobilmachung der Ersatz- und Ausbildungstruppen sowie der jederzeit etwa 300.000 in Deutschland auf Heimaturlaub befindlichen Frontsoldaten, um befürchtete Aufstände der Zivilbevölkerung sowie von Kriegsgefangenen, Zwangsarbeitern und KZ-Häftlingen zu unterbinden oder um sie rasch an der Front bzw. gegen feindliche Luft- oder Küstenlandungen einsetzen zu können. Oberst i.G. Henning von Tresckow und Oberst i.G. Claus Schenk Graf von Stauffenberg passten diesen Plan ab 1943 unauffällig an die Bedürfnisse nach dem geplanten Attentat auf Hitler an, sodaß u.a. auch zentrale Personen der SS, des Sicherheitsdienstes (SD), der Geheimen Staatspolizei (Gestapo) und der NSDAP verhaftet sowie deren Kräfte durch die Wehrmacht entwaffnet worden wären.
[2] GenLt Thiele hatte zudem als Oberleutnant 1925 die Geschichte der Nachrichten-Truppe (1899 — 1924) herausgegeben und war auch daher in der Nachrichtentruppe bekannt sowie geachtet.
[3] Entgegen der Unterstellung in den ersten Gestapo-Ermittlungsergebnissen, GenNachrTr Fellgiebel habe “nichts getan, um das Gelingen des Putschversuches nachrichtentechnisch zu unterstützen”, weil ihm schlicht der Mut gefehlt habe, hatte er es u.a. übernommen, zumindest zeitweise die Nutzung der FHQ-Nachrichtenanlagen zu verhindern, nicht aber sie durch Sprengung zu zerstören. Abgesehen davon, daß man sie für die Nachrichtenverbindungen zu den Oberkommandos der Heeresgruppen und Armeen brauchte, wäre ihre Zerstörung auch weit über die Möglichkeiten eines Einzelnen hinausgegangen, sie hätte viele Hände sowie viele Sprengstoffpakete erfordert und hätte doch nichts genützt, wenn nicht beide Nachrichtenzentralen des FHQ sowie die vielen Kabelschächte und sonstigen Zugänge zu den Leitungen, wo man rasch auch mobile Telefonzentralen anschließen konnte, zerstört worden wären.
Dieses angebliche „Versagen“ von GenNachrTr Fellgiebel wurde auch in einem US-Geheimdienstbericht vom 1. Februar 1945 aufgelistet, wonach er es versäumt habe, „die Funkverbindungen von Hitlers Hauptquartier in Ostpreußen zu zerstören, sodaß die Nachricht von der Bombenexplosion und Hitlers Überleben hinausgelangen konnte, bevor die Verschwörer die Macht übernehmen konnten.” Darauf gestützt, kritisierte Allen Welsh Dulles, während des Krieges Chef des US-Geheimdienstes in der Schweiz, in seinem Buch “Verschwörung in Deutschland” das “Versagen” von GenNachrTr Fellgiebel. Dulles wurde assistiert von Hans Bernd Gisevius, selbst Teilnehmer am Staatsstreich, der in seinem Buch „Bis zum bitteren Ende“ über GenNachrTr Fellgiebel schrieb: »Die Fernschreibzentrale wurde nicht gesprengt, sondern nur für Stunden blockiert.« Dieser Teil des Auftrags, für den GenNachrTrFellgiebel gebürgt habe, »blieb unausgeführt«. John Wheeler-Bennett schließlich, der historische Berater des britischen Foreign Office, behauptete 1953 in „Nemesis der Macht“, Fellgiebel habe nicht einmal seine Mitverschworenen in Berlin angerufen. Versuche, dieses Bild zu korrigieren, wie der von Oberst a.D. Wolfgang Müller am 16. August 1947 mit einem Artikel in der Zeitung “Das Deutschland der andern” verpufften. Ein Millionenpublikum konnte vielmehr 2009 in dem Kinofilm “Operation Walküre” GenNachrTr Fellgiebel als ständig betrunkenen Zögerer sehen, der von Oberst i.G. Graf von Stauffenberg (alias Tom Cruise) auf der Toilette zum Mitmachen erpresst werden musste.
Das war der späte Triumph einer gezielten Diskreditierung, denn GenNachrTr Fellgiebel hatte keineswegs versagt: Er gehörte mit zu den entschlossensten Widerstandskämpfern und war ein Spezialist, der sein Metier beherrschte.
Wie sind aber die Vorwürfe zu erklären, GenNachrTr Fellgiebel habe versagt? Sie kommen, worauf der Historiker Peter Hoffmann richtigerweise hinweist, nicht aus erster Hand, sondern nur vom Hörensagen: Keine der Personen, die an vorbereitenden Treffen bis in den Juli 1944 hinein teilgenommen haben, hat je darüber berichtet, GenNachrTr Fellgiebel habe ihnen die Zerstörung der Nachrichtenvermittlung im Sperrkreis I der »Wolfsschanze« zugesagt. GenNachrTr Fellgiebel hatte vielmehr im Gegenteil von Anfang an darauf hingewiesen, daß es kaum möglich sei, das FHQ nachrichtentechnisch komplett zu isolieren und insofern eine Nachrichtenübermittlung allenfalls zeitlich befristet behindert werden könne.
[4] gemäß Quelle 6 — 8 und 11 — 12, gemäß Quelle 10 – Abschnitt 2.13 (Meldung von GenLt Thiele über die Durchgabe der Fernschreiben am 20./21.07.1944) allerdings nur Leutnant
[5] Vgl. Heinemann, Winfried: General Erich Fellgiebel und die Rolle der Kommunikationsmittel am 20. Juli 1944, in: ders. (Hrsg.), Führung und Führungsmittel, Potsdam 2011, S. 57 — 66