Nach Vorstellung der Bildtafeln zum Inspekteur der Nachrichtentruppe Erich Fellgiebel und zum Aufbau der Heeres-Nachrichtentruppe ab 1933 wird die Serie zu o.a. Bildtafelausstellung mit der Vorstellung der Bildtafeln zum Nachrichten-Bunker „Zeppelin“ sowie zum Einsatz der Heeres-Nachrichtentruppe bei der Annexion von Österreich und der Tschechoslowakei fortgesetzt.
Oberst a.D. Peter Uffelmann
Vorbemerkung:
Die aktuellen RICHTLINIEN ZUM TRADITIONSVERSTÄNDNIS UND ZUR TRADITIONSPFLEGE der Bundeswehr enthalten zum Thema „Wehrmacht“ unter Nr. 3.4.1 u.a. folgende Klarstellung, auf die auch hinsichtlich der Zusammenarbeit der Nachrichtentruppe (NachrTr) mit der Deutschen Reichspost (DRP) bei den geheimen Mobilmachungsplanungen und ‑vorbereitungen sowie Aufmarschplanungen, und hinsichtlich des Einsatzes der Heeres-Nachrichtentruppe bei der Annexion von Österreich und der Tschechoslowakei hingewiesen werden soll:
„Der verbrecherische NS-Staat kann Tradition nicht begründen. Für die Streitkräfte eines demokratischen Rechtsstaates ist die Wehrmacht als Institution nicht traditionswürdig. Gleiches gilt für ihre Truppenverbände sowie Organisationen, die Militärverwaltung und den Rüstungsbereich.“
Im Rahmen der Zusammenarbeit der Nachrichtentruppe (NachrTr) mit der Deutschen Reichspost (DRP) bei den geheimen Mobilmachungsplanungen und ‑vorbereitungen sowie Aufmarschplanungen der Reichswehr wurden ab 1932 sogenannte, aber erst ab 1935 als solche bezeichnete „Störungsnetze“ („StöN“) ausgeplant und vorbereitet, in welchen die im Kriegsfall für militärische Zwecke erforderlichen Fernsprechleitungen (FsprLtg) – später auch Fernschreibleitungen (FschrLtg) – zusammengefasst wurden. Die dazu vorbereiteten sogenannten „Mob-Leitungen“ wurden im Bedarfsfall erst nach einem Auslösebefehl geschaltet, der von der Inspektion der NachrTr im Reichswehrministerium fernschriftlich an das Reichspostministerium (RPM) und von dort an die zu beteiligenden Reichspostdirektionen (RPD) sowie DRP-Betriebsämter übermittelt wurde.
Das erste dieser „StöN“ war 1932 das Führungsnetz „Hektor“ des Heeres-Transportwesens (HTrspW) zur Steuerung und Überwachung des Aufmarschs, das den Chef des HTrspW im Oberkommando des Heeres (OKH) mit den Armeeoberkommandos (AOK) und den Generalkommandos (GenKdo) der Armeekorps sowie den Reichsbahndirektionen und wichtigen Eisenbahnknotenpunkten verband.
Als ab 1933 unter der NS-Herrschaft auf Basis der Planungen der Reichwehr eine zunächst verdeckte Aufrüstung zur neuen Wehrmacht betrieben wurde, wobei nach und nach aus den sieben Wehrkreiskommandos zunächst 21 Divisionsstäbe entstehen sollten, stellte die DRP ab Ende August als erstes Führungsnetz des Heeres das „Sonderleitungsnetz 1 und 2“ aus Fspr- und wenigen FschrLtg mit zwei Schaltvarianten für die Heeresleitung sowie für die vorerst noch sieben Wehrkreiskommandos bzw. Divisionsstäbe bereit – siehe Post 18.
Mittelpunkt dieses ersten Führungsnetzes des Heeres war dabei Zossen-Wünsdorf, nachdem die DRP in einer Besprechung am 3. Februar 1933 davon in Kenntnis gesetzt worden war, daß im Falle eines Krieges dort das Kriegs-Hauptquartier der Heeresleitung eingerichtet wird und nachrichtentechnisch vorzubereiten ist. Insofern änderte sich ab November 1934 im neuen „Heeressondernetz Otto“ (Generalstab des Heeres – AOK – Armeekorps; bis Oktober 1935) mit über 100 Fspr- und 32 FschrLtg die Netztopologie auch nur entsprechend des Aufmarschschwerpunkts im Westen.
Die nachrichtentechnische Vorbereitung von Zossen-Wünsdorf als OKH-Kriegshauptquartier war jedoch zunächst nur behelfsmäßig im Sinne einer „Notlösung“ möglich: So wurde bis 1935 u.a. die Anzahl der Stabsanschlüsse an der Fernsprechvermittlung im Lager Zossen-Wünsdorf auf 300 vergrößert und im Postamt Zossen-Wünsdorf wurden Vorbereitungen für die kurzfristige Einrichtung einer Untervermittlung mit weiteren 150 Teilnehmern getroffen. Am 11. September 1935 meldete das RPM dem OKH den Abschluss der Arbeiten an der provisorischen Nachrichtenzentrale des Hauptquartiers in einem Unterkunftsgebäude und damit die Fertigstellung einer „Notlösung“. Darüber hinaus war zur Erreichung der schnellstmöglichen Nutzbarkeit des OKH-Kriegshauptquartiers am 1. Februar 1935 festgelegt worden, daß diese Notlösung dann später über eine Zwischenlösung zur Ziellösung – einem Nachrichtenbunker – führen sollte. Parallel dazu sollte auch der Truppenübungsplatz Ohrdruf als OKH-Kriegshauptquartier vorbereitet und ausgebaut werden.
Das DRP-Fernleitungsnetz war inzwischen durch die Möglichkeit „StöN“ für militärische Zwecke schalten zu können, zu einem der wichtigsten Faktoren im Rahmen der deutschen Mobilmachungsplanungen und ‑vorbereitungen sowie Aufmarschplanungen geworden, wobei eine Verkürzung der Mobilmachungszeiten und ein schneller Aufmarsch nur durch seine maximale Ausnutzung, aber auch durch Schaffung der dazu zum Teil noch fehlenden Voraussetzungen zu erreichen waren, denn das DRP-Fernleitungsnetz war nach dem Ersten Weltkrieg zwar mit unterirdischen Niederfrequenz-Fernkabeln neu errichtet worden, aber ausschließlich nach wirtschaftlichen Gesichtspunkten. Sein Netzmittelpunkt lag in Berlin, von wo aus es sternförmig in alle Richtungen führte. Weitere Netzknoten waren Hamburg, Hannover, Dortmund, Köln, Frankfurt/Main und Nürnberg, wo allerdings – wie auch in Berlin – die Betriebs- und Verstärkereinrichtungen oberirdisch inmitten der Städte lagen und insofern stark bombardierungsgefährdet waren. Darüber hinaus waren die Ost-/West- und Nord-/ Südverbindungen wenig leistungsfähig sowie die Netz- bzw. Leitungskapazitäten insgesamt unzureichend.
Anfang März 1935 forderte der Inspekteur der NachrTr deshalb von der DRP – unter Beteiligung der Wehrmacht – einen langfristigen Ausbauplan für ihr Fernkabelnetz aufzustellen und bei Neuverkabelungen von vornherein Miet-Dauer- und ‑Reserveleitungen für militärische Zwecke freizuhalten, die nicht dem öffentlichen Netz zur Verfügung stehen und aus einem Sonderbauprogramm (Wehrmachtsanteil: etwa 1 Milliarde Reichsmark) bezahlt werden sollten.
Jährlich sollten so u.a. 2.000 km „Maschenkabel“ [1] zur Verdichtung und Vermaschung des DRP-Fernkabelnetzes sowie zur Umgehung von Großstädten und Ballungsräumen verlegt werden, beginnend in den grenznahen Räumen im Osten und Westen sowie als Fernkabelring um Berlin, an den dann Zossen-Wünsdorf (OKH-Kriegshauptquartier) und Potsdam-Wildpark West (Kriegs-Hauptquartier des Oberkommandos der Luftwaffe/OKL) angeschlossen werden sollten. Ohrdruf dagegen sollte an die im west- und südwestdeutschen Raum geplanten bzw. im Bau befindlichen „Maschenkabel“ angeschlossen werden. Ab 1936/37 kam es jedoch aufgrund von Rohstoffmangel bei der Fernkabelproduktion – insbesondere hinsichtlich Kupfer – zu erheblichen Kürzungen dieses Sonderbauprogramms, so daß alle nicht der Vermaschung dienenden Fernkabelleitungen zurückgestellt werden mussten.
Im April 1935 ergingen im Übrigen neue DRP-Richtlinien für den Ausbau des Deutschen Fernkabelnetzes, wonach u.a. alle DRP-Verstärkerämter nur noch in unterirdischer Bauweise zu errichten waren.
In dem ab November 1935 ggf. zu nutzenden „StöN Ottokar“ (Generalstab des Heeres – AOK – Armeekorps), das bis August 1939 bestehen blieb, war nun auch Ohrdruf als zweiter Netzmittelpunkt enthalten, um dem OKH eine lageabhängige Führung entweder von dort („Fall Moritz“), oder aus Zossen-Wünsdorf („Fall Max“) zu ermöglichen. Die Netztopologie war zudem um weitere Netzknoten gegenüber dem „Heeressondernetz Otto“ ergänzt worden, um mit mehreren Schaltvarianten einen variablen Aufmarschschwerpunkt entweder im Westen gegen Frankreich und gleichzeitig im Osten gegen Polen oder im Westen gegen Frankreich und gleichzeitig im Südosten gegen die Tschechoslowakei zu ermöglichen.
Störungsnetz „Ottokar“
Anfang 1936 begann schließlich der Bau des Nachrichtenbunkers „Olga“ (postalisch: „Amt 10“) in Ohrdruf (bis Juli 1938) und im Frühjahr 1937 der Bau des Nachrichtenbunkers „Zeppelin“ (postalisch: „Amt 500“) in Zossen-Wünsdorf (bis Juni 1939) durch die DRP unter Leitung der RPD Erfurt. Für ihren Betrieb war jeweils eine selbstständige Nachrichten-Betriebskompanie (sbst NachrBtrbKp) vorgesehen, unterstützt durch DRP-Wartungs- und Betriebskräfte („Zeppelin“ in Zossen-Wünsdorf: 256/„Olga“ in Ohrdruf: 105).
Lage des Nachrichtenbunkers „Zeppelin“ (gelb) im Lager Zossen-Wünsdorf
Über den sogenannten „Südstollen“ war der Nachrichtenbunker „Zeppelin“ mit der unterirdischen Bunkeranlage „Maybach I“ des OKH verbunden.
Grundrisse der Bunkergeschosse
Im unteren Bunkergeschoß lag u.a. das Heeres-Fernsprech-Fern- und ‑Ortsamt „Ottokar/Hermann“ mit 420 Fernleitungen und 1.500 Stabsanschlüssen, im oberen Bunkergeschoß u.a. die Fernschreibvermittlung „Ottokar/Hermann“ mit 160 Fernschreibleitungen und 29 Fernschreibmaschinen.
Fspr-Fern-Vermittlung „Ottokar/Hermann“
Bis Sommer 1936 hatte die DRP selbst aufgrund bis dahin fehlender Vorgaben für ihre eigene Mobilmachungsplanung nur unumgängliche Vorarbeiten durchführen können, konnte aber dennoch im Dezember 1936 ihren Mobilmachungskalender fertigstellen, der Vorausmaßnahmen in einer Spannungszeit zur Schaffung der Grundlagen für den zuverlässigen Ablauf der eigentlich Mobilmachung und zur Vorwegnahme von Einzelmaßnahmen der Mobilmachung sowie die eigentlichen Mobilmachungsmaßnahmen im „X‑Fall“ umfasste.
Auszug aus dem DRP-Mobilmachungskalender
Im Rahmen der DRP-Mobilmachungsplanung waren auch erhebliche Personalabgaben an die Wehrmacht vorgesehen – u.a. etwa 15.000 Personen für deren Nachrichtenverbände und 36.000 Mann als verstärkter Postschutz.
Der Postschutz war bereits in den 1920-er Jahren als paramilitärische Unterstützung für die Reichswehr beim bewaffneten Schutz von Nachrichten- und Funkanlagen aufgestellt worden. Er war militärisch organisiert und u.a. mit Handwaffen ausgerüstet. Seine Angehörigen wurden wöchentlich zwei Stunden außerhalb der Arbeitszeit infanteristisch ausgebildet. Bis 1937 wurde der Postschutz durch einen zum RPM kommandierten General geführt, ab dann durch den RPM-Staatssekretär. Ihm unterstanden 10 „Oberführer“, denen die „Bezirksführer“ bei den RPD zugeordnet waren, die ihrerseits für die militärische und fachliche Anleitung der „Orts- und Amtsführer“ des Postschutzes verantwortlich waren. Ausgebildet wurden die Postschutz-Führer an mindestens 12 Postschutz-Schulen.
Seit 1933/34 wurden dem Postschutz dann immer weitergehende Aufgaben zum unmittelbaren Zusammenwirken mit der NachrTr übertragen. Ab 1936 wurden dabei zusätzlich zu den Postschutz-Sicherungskräften mobile Postschutz-Abteilungen mit mehreren – etwa 10 Mann starken – bewaffneten Spezialtrupps zur schnellstmöglichen Besetzung, Sicherung und Wiederinbetriebnahme von gegnerischen, postalischen Nachrichten- und Funkanlagen gebildet, die im Kriegsfall auf Zusammenarbeit mit den NachrAbt/-Rgt und Feld-Nachrichtenkommandanturen angewiesen werden sollten.
Ab August 1937 begannen ergänzend zum „StöN Ottokar“ die Vorbereitungen für das „StöN Hermann“(Generalstab des Heeres – AOK – Armeekorps) für einen ausschließlichen Ost-Aufmarsch, die aber ab Dezember 1937 durch die sich abzeichnende Annexion Österreichs („Sonderfall/Unternehmen Otto“; siehe unten) zunächst unterbrochen wurden. Bis dahin waren bereits 28,5% der Übertragungskapazität der DRP-Fernleitungen für vorbereitete „Mob-Leitungen“ aller „StöN“ vorgesehen.
Während „StöN Ottokar“ und „StöN Hermann“ durch das Reichspostzentralamt (RPZ) geplant und realisiert wurden, begannen 1937 die territorial zuständigen RPD – zum Teil unter zusätzlichem Netzausbau, wobei die DRP z.T. durch Feldfernkabel-Baukompanien der Korps-NachrAbt unterstützt wurde – die Planung und Realisierung von „StöN Dora“ zum Aufmarsch im Osten und Südosten sowie „StöN Georg“ zum Aufmarsch im Westen für die Verbindungen zwischen den Kriegsstationierungsorten der Armee-Korps und der Divisionen. Für die Verbindungen zwischen dem AOK 3 in Königsberg und seinen Divisionen war schon seit Ende 1935 das „StöN Theo“ vorbereitet.
Für das „Unternehmen Otto“, den militärischen Einmarsch in Österreich im März 1938 gab es allerdings aufgrund der sich erst ab November 1937 entwickelnden außen- und innenpolitischen Lage sowie der erst kurzfristigen Entscheidung Hitlers zum tatsächlichen Einmarsch weder eine Aufmarschplanung, noch eine entsprechende nachrichtentechnische Vorbereitung, obwohl ein „Sonderfall Otto“ bereits seit Ende Juni 1937 in einer „Weisung für die einheitliche Kriegsvorbereitung der Wehrmacht“ aufgeführt war.
Im Bereich der Funkaufklärung war es der Festen Horch-/Funkempfangsstelle in Söcking allerdings bereits bis Mitte Februar 1937 gelungen, ein umfassendes und detailliertes Bild des österreichischen Bundesheeres zu gewinnen, wobei das routinierte, schematische Funkverfahren im „Bürostunden-Takt“ (9 — 18 Uhr mit einer Mittagspause von 12 — 13 Uhr) die Erfassung wesentlich erleichterte. Dieser Erfolg wurde hierbei lediglich mittels Verkehrsauswertung erzielt, d.h. Rekonstruktion der gegnerischen Führungsorganisation allein aufgrund der Funkverkehrsbeziehungen – ohne die Funksprüche selbst mitlesen zu können.
Nun aber musste sowohl Aufmarschplanung, als auch nachrichtentechnische Vorbereitung kurzfristig mehr oder weniger improvisiert werden. Da der Einmarsch zudem nicht als kriegsmäßige Operation geplant war und keine Mobilmachung vorgesehen war, musste man auf die meisten Schaltungen in den vorbereiteten und verfügbaren „StöN“ verzichten sowie deshalb dem öffentlichen DRP-Fernsprechnetz zahlreiche Leitungen für die geforderten Führungsverbindungen entziehen. Auch die nicht vorbereitete Teilmobilmachung in zwei Wehrkreisen wirkte sich entsprechend auf das öffentliche DRP-Fernsprechnetz aus: So brach am 11./12. März 1938 der öffentliche Fernsprechverkehr in ganz Deutschland weitgehend völlig zusammen und war auch in den Folgetagen nur stark eingeschränkt möglich.
Erst gegen Mittag des 10. März 1937 hatte das OKW/WNV beim RPM die Bereitstellung der ersten Nachrichtenverbindungen zur Sicherstellung des anlaufenden „Unternehmens Otto“ angefordert, woraufhin im Laufe des Nachmittags die sofortige Schaltung des „StöN Hektor“ für die vorbereiteten Leitungen des HTrspW und die Inbetriebnahme der Nachrichtenzentrale für den Chef des HTrspW in Zossen-Wünsdorf ausgelöst wurden. Nach Mitternacht vom 10./11. März wurde dann die Bereitstellung weiterer Leitungen für die zum Aufmarsch gegen Österreich alarmierten Korpsstäbe und Divisionen angefordert, wobei schon etwa zwei Stunden später die Armee-Nachrichtenzentrale in Mühldorf durch DRP-Betriebspersonal in Betrieb genommen werden konnte, die dann am 12. März an die Fernsprech-Betriebskompanie des mobilgemachten Armee-NachrRgt 570 übergeben wurde.
Die Bereitstellung brauchbarer Nachrichtenverbindungen für die in Südost-Bayern aufmarschierende 8. Armee bis 12. März gelang nur durch Realisierung der o.a. Leitungsanforderungen zu Lasten des öffentlichen Fernleitungsnetzes, wodurch Fernsprech- und Fernschreibverbindungen zwischen den Gefechtsständen von AOK 8 und seiner Korpsstäbe sowie von dort zu den aufmarschierenden Divisionen zumindest Fernsprechverbindungen möglich waren.
Nachrichtenverbindungen vor dem Einmarsch nach Österreich
Bis zur Nacht vom 10./11. März waren noch keine militärische Nachrichtenkräfte im Einsatz, weil sie sich noch in Aufstellung befanden – z.B. das Armee-NachrRgt 570 – oder noch auf dem Marsch waren.
Ab dem Morgen des 12. März lag dann der Schwerpunkt des Einsatzes der NachrTr bei der 2. Panzerdivision (2. PzDiv) auf deren Vormarsch nach Wien: Dabei wurden stündlich die durch die Vorauskräfte erreichten Orte über Funk an die Marschspitzen der Hauptkräfte gemeldet, von dort über drei Funklinien an die motorisierte Funkstaffel der 2. PzDiv sowie von dort über Funk an den Korps- und Armee-Gefechtsstand in Passau bzw. Mühldorf weitergeleitet, weil die Panzer-NachrAbt 38 der 2. PzDiv und die Korps-NachrAbt 62 des XVI. Motorisierten Armee-Korps aufgrund des hohen Marschtempos und des schlechten Wetters nicht in der Lage waren, mit Feld- bzw. Feldfernkabel-Leitungen entlang der Vormarschstraßen zu folgen.
Fernsprechstelle an der Vormarschstraße der 10. Infanteriedivision
zwischen Sulzbach und St. Pöiten
Durch unmittelbare Einflußnahme des Nachrichtentechnischen Beraters beim AOK 8 auf die österreichische Bundespost gelang es aber bereits am 12. März feste Nachrichtenverbindungen zwischen dem Armee-Gefechtsstand in Mühldorf und den nach Österreich verlegenden Korpsstäben herzustellen.
Gegen Mittag des 12. März wurden auch durch das OKW/WNV bereits die ersten Leitungsschaltungen nach österreichischen Orten beim RPM angefordert, die mit Hilfe der österreichischen Bundespost realisiert wurden, und ab Mittag des 13. März wurde durch die Abteilung WNV im Zusammenwirken mit dem RPM mit der nachrichtentechnischen Planung für die künftig in Österreich zu stationierenden Stäbe, Verbände und Truppenteile begonnen. Bis 18. März konnte so ein besonderes Nachrichtenverbindungsnetz zu allen besetzten Standorten in Österreich eingerichtet werden und danach begann bereits der Ausbau auch des Postnetzes in Österreich für den Aufmarsch gegen die Tschechoslowakei („Fall Grün“).
Ab Ende April 1938 wurden auch die Vorbereitungen für das „StöN Hermann“ (Generalstab des Heeres – AOK – Armeekorps; bis Februar 1939) wiederaufgenommen, das mit den AOK-Gefechtsständen in Cosel/Schlesien, Freiburg/Schlesien, Schwandorf/Oberpfalz, Passau/Niederbayern und Göpfritz im niederösterreichischen Waldviertel nun deutlich einen Offensivaufmarsch für den „Fall Grün“, einen Angriffskrieg gegen die Tschechoslowakei erkennen ließ.
Störungsnetz „Hermann“ (1938)
Der parallel dazu noch erforderliche Abschluß der Realisierung des „StöN Dora“ entlang der Grenze zur Tschechoslowakei durch die DRP erforderte aufgrund des dort meist unzureichenden Ausbaus des DRP-Fernkabelnetzes den Bau von etwa 1.100 km oberirdischer Fernsprechlinien in den Aufmarschräumen der AOK 10 und 12 zwischen Marktredwitz und Passau, von etwa 2.000 km oberirdischer Fernsprechlinien in den Aufmarschräumen des AOK 14 (Passau – Linz – Wien) sowie von mehr als 560 km Feldfernkabellinien (durch Feldfernkabel-Baukompanien der Korps-NachrAbt) in den schlesischen Aufmarschräumen von AOK 2 und 8.
Bis zum 15. September waren dennoch alle geforderten Nachrichtenverbindungen für die StöN „Hermann“ und „Dora“ vorbereitet und schaltbereit.
Kabeleinführung (links) und ‑abspannbock (rechts) der Fernsprechzentrale
des AOK 10 in Schwandorf
Aufgrund der zwischenzeitlichen Zuspitzung der außenpolitischen Lage im Rahmen der sogenannten „Sudetenkrise“ erfolgte dann am 23. September 1938 die Mobilmachung auch der NachrTr für den „Fall Grün“, den Angriff auf die Tschechoslowakei.
Dazu waren u.a. bereits vorab vier NachrAbt und zwei motorisierte Fspr-Kompanien zur Aufstellung der NachrRgt für die fünf Armeen auf Truppenübungsplätzen bereitgestellt worden, so daß nach Mobilmachung der fünf Regimentsstäbe diese Aufstellung im Wesentlichen schon abgeschlossen war. Darüber hinaus wurden ab 23. September die StöN „Hermann“ und „Dora“ geschaltet, wobei die Nachrichten-Betriebsabteilungen der Armee-NachrRgt bis dahin die von der DRP vorbereiteten Armee-Vermittlungen bereits übernommen hatten.
Auch die beiden sbst NachrBtrbKp für die beiden Haupt-Nachrichtenzentralen in Zossen-Wünsdorf und Ohrdruf wurden mobilgemacht: Als die für Zossen-Wünsdorf vorgesehene Kompanie am 25. September dort eintraf, waren die NachrVbdg zu den fünf noch aufmarschierenden Armeen schon durch die zivilen DRP-Nachrichtentechniker in Betrieb genommen worden.
Zudem war jedem AOK eine Feld-Nachrichtenkommandantur (FNachrKdtr) zugeordnet worden, welche die Ausnutzung der postalischen NachrVbdg in den Armee-Angriffsstreifen durch frühzeitige Wiederinbetriebnahme, Sicherung und Abschirmung der wichtigsten Nachrichtenanlagen sowie eine umfassende Stillegung und Beschlagnahme aller Funksendeanlagen sicherstellen sollten. Zusätzlich wurden jedem AOK zur Unterstützung zwei Nachrichtentechnische Berater der DRP zugeordnet, die auch die DRP-Interessen bei schneller Wiederinbetriebnahme des Nachrichtenverbindungsnetzes zu wahren hatten.
Ab dem 25. September standen außerdem noch vier – je 36 Mann starke – Spezialtrupps des verstärkten Postschutzes für die Angriffsstreifen der AOK 2, 8, 10 und 12 bereit, welche in Zusammenarbeit mit den NachrAbt/-Rgt und FNachrKdtr die schnellstmögliche Besetzung, Sicherung und Wiederinbetriebnahme von gegnerischen, postalischen Nachrichten- und Funkanlagen sicherstellen sollten.
Als nach Unterzeichnung des Münchener Abkommens statt dem geplanten Angriff auf die Tschechoslowakei zunächst nur ein Teil des Landes, das sogenannte Sudetenland, ab 1. Oktober besetzt wurde, stellten die NachrAbt/-Rgt die feldmäßigen NachrVbdg zwischen den vormarschierenden Kräften und den in der Regel an ihren grenznahen Standorten verbleibenden höheren Stäben sicher.
Verlegung von Feldfernkabel
Die vorgefundenen, z.T. beschädigten tschechischen Nachrichtenanlagen konnten erst nach und nach wieder hergestellt sowie in Betrieb genommen werden, wobei ihre ausschließlich militärische Nutzung bereits um den 17. Oktober mit Übergabe an die DRP zur nachrichtentechnischen Sicherstellung der Truppenstationierung im Sudetenland sowie für weitere Aufmarschplanungen gegen das verbliebene Staatsgebiet der Tschechoslowakei endete.
Zum Einsatz waren auch zwei Horch-Kompanien gekommen: Die 3./NachrAbt 24 im Raum um Freiberg/Sachsen, die direkt an die Wehrmachts-Horch-Leitstelle in Treuenbrietzen meldete, und die 3./NachrAbt 18 im Raum Tinz/Schlesien, welche mit den AOK 2 und 8 auf Zusammenarbeit angewiesen war – siehe o.a. Bild „Störungsnetz Hermann“.
Schon während der sogenannten „Wochenend-Krise“ im Mai 1938 hatte die deutsche Funkaufklärung die tschechoslowakische Mobilmachung erkannt: Am 22. Mai war ein wegen seiner Kürze auffallender Funkspruch des tschechoslowakischen Kriegsministeriums erfasst worden, der zwar nicht entziffert werden konnte, in welchem aber ein Mobilmachungsbefehl vermutet wurde. Da kurz darauf Veränderungen im tschechoslowakischen Heeresfunknetz festgestellt wurden, konnte nach nur zweieinhalb Stunden die tschechoslowakische (Teil-)Mobilmachung bestätigt werden.
Aufgrund der schon Ende Oktober 1938 erfolgten Entscheidung Hitlers, eine jederzeitige Besetzung von Böhmen und Mähren als „Fall Südost“ vorzubereiten, wurden hierfür ab Februar 1939 unter Führung von zwei Heeresgruppenkommandos in Dresden und Wien sieben Armeekorps bereitgestellt sowie am 3. Februar von der DRP eine entsprechende Neugestaltung des StöN „Hermann“ bis 28. Februar gefordert.
Ergänzend wurden für die beiden Heeresgruppenkommandos zwei NachrRgt mobilgemacht und der Einsatz von zwei FNachrKdtr sowie die Zuordnung von Nachrichtentechnischen Beratern der DRP und Spezialtrupps des verstärkten Postschutzes vorbereitet .
Am 13. März 1939 wurden die NachrVbdg im StöN „Hermann“ geschaltet und ab 15. März kam es zum Einsatz der beiden FNachrKdtr im Rahmen der anlaufenden militärischen Besetzung von Böhmen und Mähren. Dabei wurde u.a. in Prag am Mittag des 15. März das Fern- und Verstärkeramt besetzt sowie die Fortsetzung ihres Betriebs veranlasst, so daß schon nachmittags für die eintreffenden deutschen Wehrmachtsdienststellen unmittelbare NachrVbdg bis hin nach Deutschland geschaltet werden konnten. Die HNachrTr aber kam diesmal kaum zum Einsatz.
Spätestens seit dem Frühjahr 1938 hatte sich die bis dahin praktizierte relativ langfristige Planung und Vorbereitung von StöN im Rahmen der Mobilmachungsplanungen und ‑vorbereitungen sowie Aufmarschplanungen zu einer von kurzfristigen politischen Entscheidungen dominierten operativen Planung von NachrVbdg entwickelt, welche die DRP zum wichtigsten Partner der HNachrTr werden ließ, um die damit verbundenen Anforderungen zu bewältigen sowie die damit verbundene Bereitstellung ihrer technischen und personellen Ressourcen zu ermöglichen.
Quellen:
Tafel 34 — 36 der Bildtafelausstellung “Fernmeldetruppen – Gestern und heute”
Weitere Quellen und zusätzliche Informationen zum Thema:
- N., N.: Militärische Nutzung der Fernmeldenetze der Deutschen Reichspost 1918 — 1945, in: Telegraphen-/ Nachrichten-/ Fernmeldetruppen und Führungsdienste – Führungsunterstützung seit 1899, Hrsg.: Fernmeldering e.V. 1999 – S. 113 ff.
- Telegraphen-/Nachrichten-/Fernmeldetruppen und Führungsdienste – Führungsunterstützung seit 1899, Hrsg.: Fernmeldering e.V. 1999 – S. 225 ff.
- Recke, Hans-Joachim: Die Entwicklung der Telegraphen- und Nachrichtentruppe, in: Antenne-Sonderausgabe „100 Jahre Fernmeldetruppen“, FmS/FSHElT 1999 – S. 6 ff.
- Fernmeldetruppe und Militär auf der Seite von Oberst a.D. Mil. Historiker Dipl. Ing.oec. Hans-Georg Kampe (†)
- Kampe, Hans-Georg: Die Heeres-Nachrichtentruppe der Wehrmacht 1935 — 1945, 1994 – S. 21 ff.
- Wikipedia-Eintrag zu „Postschutz“
- Arazi, Doron: Die deutsche militärische Funkaufklärung im Zweiten Weltkrieg – Versuch eine Überblicks, in: Der Zweite Weltkrieg – Analysen — Grundzüge — Forschungsbilanz, Hrsg.: Michalka, Wolfgang im Auftrag des MGFA; Piper – Oktober 1989
- Hitlers Außenpolitik – Deutschlands Weg in den Krieg; in: Militärgeschichte – Von der Frühen Neuzeit bis in die Gegenwart, hrsg. von Michael Epkenhans und Frank Hagemann, S. 322 — 325; Westermann – 2021.
[1] zwischen den unterirdischen Verstärkerstellen auf verschiedenen Wegen geführte Kabel zur Doppel- oder Mehrfachabstützung und somit für entsprechende Resilienz