Nach Vorstellung der Bildtafeln zur Nachrichtentruppe der Kaiserlichen Armee, der Reichswehr und der Wehrmacht wird die Serie zu o.a. Bildtafelausstellung mit der Vorstellung der Bildtafeln zur Nachrichtentruppe in der Kasernierten Volkspolizei (1948 — 1956) und in der Nationalen Volksarmee (1956 — 1990) der DDR fortgesetzt. Tafel 43 behandelt den Wiederaufbau einer Nachrichtentruppe in der Kasernierten Volkspolizei (1948 — 1956).
Oberst a.D. Peter Uffelmann
Vorbemerkung:
Die aktuellen RICHTLINIEN ZUM TRADITIONSVERSTÄNDNIS UND ZUR TRADITIONSPFLEGE der Bundeswehr enthalten zum Thema „Nationale Volksarmee“ unter Nr. 3.4.2 u.a. folgende Klarstellung, auf die auch hinsichtlich des Wiederaufbaus einer Nachrichtentruppe in der Kasernierten Volkspolizei (KVP) und in der Nationalen Volksarmee (NVA) hingewiesen werden soll:
„Die NVA begründet als Institution und mit ihren Verbänden und Dienststellen keine Tradition der Bundeswehr. In ihrem eigenen Selbstverständnis war sie Hauptwaffenträger einer sozialistischen Diktatur. Sie war fest in die Staatsideologie der DDR eingebunden und wesentlicher Garant für die Sicherung ihres politisch-gesellschaftlichen Systems.
Grundsätzlich ist jedoch die Aufnahme von Angehörigen der NVA in das Traditionsgut der Bundeswehr möglich. Sie setzt ebenfalls immer eine eingehende Einzelfallbetrachtung sowie ein sorgfältiges Abwägen voraus. Dieses Abwägen muss die Frage nach persönlicher Schuld berücksichtigen und eine Leistung zur Bedingung machen, die vorbildlich oder sinnstiftend in die Gegenwart wirkt, etwa die Auflehnung gegen die SED-Herrschaft oder besondere Verdienste um die Deutsche Einheit.“
Sinngemäß gilt diese Klarstellung auch für die KVP.
Mit der Verhaftung der Regierung von Großadmiral Karl Dönitz und des OKW-Führungsstabes Nord in Flensburg sowie des OKW-Führungsstabes Süd in Berchtesgaden endete am 23. Mai 1945 der Versuch, die militärische Führung in der Hand zu behalten und die dafür notwendigen Nachrichtenverbände aus dem übriggebliebenen Rest der HNachrTr neu zu bilden, was auch das Ende der Nachrichtentruppe des deutschen Heeres der Wehrmacht bedeutete: Ihre sich noch in Schleswig-Holstein und in der „Alpenfestung“ sammelnden Reste gingen in Kriegsgefangenschaft, womit auch die Tradition der Nachrichtentruppe der Alten Armee, der Reichswehr und der Wehrmacht endete.
Trotzdem sollten schon sehr bald in der sowjetisch besetzten Zone (SBZ) von Deutschland einige Soldaten der früheren Wehrmachts-Nachrichtentruppe ¹ wieder Verwendung finden: Zu den gemäß Befehl der Sowjetischen Militäradministration in Deutschland (SMAD)² im Sommer 1948 aufgestellten 10 kasernierten Polizei-(Ausbildungs-)Bereitschaften zu je 250 Mann gehörten auch Fernsprech- und Funktrupps, die im Oktober 1948 mit der polizeilichen und militärischen Ausbildung nach Vorschriften der Polizei und früheren Wehrmacht (gemäß „Reibert“) begannen.
Nach der im April von der SMAD befohlenen Aufstellung zentraler Polizeischulen nahm Anfang Juni 1949 in Pirna/Elbe eine als “D‑Schule” getarnte Polizei-Nachrichtenschule den Lehrbetrieb mit zwei Fernsprech- und zwei Funk-Kompanien zur Ausbildung von Nachrichtenoffizieren auf. Später erhöhte sich die Anzahl auf fünf Fernsprech- und drei Funk-Kompanien.
Pirna a.d. Elbe – Schloß Sonnenstein ³, Standort der ersten Polizei-Nachrichtenschule zur Ausbildung von Offizieren als Kader der ab 1950/51 aufzustellenden Nachrichtentruppenteile,
Bild: Bildtafel 43
Nachdem die polizeilichen Grenzsicherungsaufgaben am 20. Juli 1949 auf die Landespolizeibehörden übergegangen waren, wurde die „Hauptabteilung Grenzpolizei und Bereitschaften“ bei der Deutschen Verwaltung des Innern ⁴ (DVdI) in „Verwaltung Schulung“ umgegliedert. Ende August 1949 begann dann eine schrittweise Umstrukturierung sowie Neudislozierung der Polizei-Bereitschaften und ‑Schulen, in denen ab Mitte September sowjetische Offiziere als „Gehilfen“ (= Kontrolleure) der Kommandeure bzw. Leiter eingesetzt wurden.
Am 14. Oktober 1949 wurde die „Verwaltung Schulung“ in “Hauptverwaltung Ausbildung” (HVA ⁵) umbenannt und war nunmehr verantwortlich allein für die vorbereitende Ausbildung der militärisch organisierten Polizei-Kadereinheiten. Dabei hatte sie strikt den SMAD-Vorgaben zu folgen, die auf allen Führungsebenen von den o.a. sowjetischen Offizieren – den sogenannten “Gehilfen” – in die Praxis umgesetzt wurden. Für die Nachrichtenausbildung in den Polizei-Bereitschaften und an der Polizei-Nachrichtenschule in Pirna war die HVA-Abteilung „Nachrichten“ verantwortlich.
Darüber hinaus wurde ab Mitte Oktober eine stationäre Nachrichtenzentrale für die HVA in Berlin-Wilhelmsruh, die spätere Haupt-Nachrichtenzentrale des DDR-Verteidigungsministeriums gebildet. Zeitgleich entstanden für die Ausbildung von Nachrichten-Unterführern die 8. (Funk-) und 9. (Draht-)Bereitschaft in Dessau.
Ende 1950 entstanden aus den bisherigen 39 Polizei-Bereitschaften 24 gemischte Bereitschaften in typischer Regimentsstruktur, u.a. mit einer als Sonderabteilung “S 2” getarnten zahlenmäßig kleinen Nachrichtenkompanie von etwa 70 — 80 Mann, deren Anfangsausrüstung aus Beutebeständen der Wehrmacht ⁶ kam oder aus gebrauchtem bzw. entliehenem Nachrichtengerät der Sowjetarmee bestand.
Gliederung einer gemischten Polizei-Bereitschaft (Stand: 22.11.1950),
Graphik: Bildtafel 43
Ab Oktober 1951 wurde ein “Nachrichten-Kommando” für die „Hauptverwaltung Ausbildung“ in Niederlehme bei Königswusterhausen aufgestellt und die bisherige Polizei-Nachrichtenschule Pirna wurde aufgeteilt in eine Offiziersschule in Halle/Saale, wo künftig die Fernsprechzugführer ausgebildet wurden sowie eine Offiziersschule für die Ausbildung der Funkzugführer in Pirna. Ein planmäßiger Lehr- und Ausbildungsbetrieb begann an diesen Standorten jedoch erst ab dem Ausbildungsjahr 1952/53.
Durch eine erneute Umorganisation – beginnend im Mai 1952 – entstand schließlich aus den Polizei-Bereitschaften die Kasernierte Volkspolizei (KVP), deren Bereitschaften nun die Gliederung – jedoch nicht die Kampfkraft – von Divisionen erhielten. Ihre Nachrichtenbataillone lehnten sich dabei eng an die Struktur der Nachrichtenbataillone sowjetischer Divisionen an, die aus einer Fernsprech-/Fernschreib- und einer Funk-Kompanie mit insgesamt 200 — 250 Mann bestanden. Ende Juni 1952 wurde die „Hauptverwaltung Ausbildung“ in Stab der Kasernierten Volkspolizei (KVP) umbenannt. Außerdem wurde eine KVP-Territorialverwaltung (TV) Nord in Pasewalk mit je drei neu gegliederten KVP-Bereitschaften aufgestellt. Darüber hinaus sollten KVP-TV in Dessau, Leipzig und Dresden, ebenfalls mit jeweils drei KVP-Bereitschaften, aufgestellt werden. Jede der KVP-Territorialverwaltungen und ‑Bereitschaften sollte je ein Nachrichtenbataillon erhalten.
Mit dieser 1952 beginnenden Umstrukturierung der KVP wurden schrittweise weitere Funkgeräte der Sowjetarmee – kleiner Leistung RBM (tragbar) sowie mittlerer und großer Leistung RSB und RAF (auf Kfz), aber auch erste Erzeugnisse aus der DDR-Produktion wie z.B. die Funkgeräte FK 1 (tragbar) und FK 50 (auf Kfz), Richtfunkgeräte RVG 902 e, Trägerfrequenz- und Wechselstrom-Telegraphietechnik, Feldvermittlungen sowie verschiedene Feld- und Feldfernkabel in die Ausrüstung aufgenommen. Die fahrbare Funkstation „FK 50“ gab es dabei auch in einer halbstationären Ausführung: Bei dieser waren die Geräte in mehreren Kisten verpackt, für deren Transport ebenfalls ein Fahrzeug benötigt wurde. Der Aufbau der Geräte dieser Station, einschließlich Antennenaufbau, erforderte etwa eine Stunde.
Funkstation kleiner Leistung „FK 1“, die tragbare Version eines Tornisterfunkgerätes aus DDR-Produktion (oben der Geräte‑, unten der Batterie-Tornister),
Bilder: Bildtafel 43
Die nur in geringer Stückzahl verfügbaren sowjetischen Geräte zwangen letztendlich zu diesen Eigenentwicklungen: Fehlendes bzw. untaugliches Material – u.a. für den Antennenbau, ungenügende Stoßfestigkeit und Belastbarkeit der Röhren sowie anderer Bauelemente und nicht zuletzt der niedrige Produktionsausstoß der Geräte vom Typ „FK 1“ und „FK 50“ gaben diesen aber keine Zukunftschancen. Nicht selten – vor allem bei Übungen der KVP-Bereitschaften – wuchsen sich die Probleme mit der „neuen Technik“ zu wahren „Verbindungskrisen“ aus.
Im September 1952 wurden anstelle der bisherigen dunkelblauen, khakifarbene Uniformen für die KVP eingeführt: Die KVP-Nachrichtensoldaten trugen die Waffenfarbe der technischen Truppen – schwarz – mit gelber Paspelierung.
Im Herbst 1952 bestand die KVP-Nachrichtentruppe aus
- Zentraler Nachrichtenbetriebsabteilung in Berlin (= frühere stationäre Nachrichtenzentrale der HVA);
- Nachrichtenregiment (2) in Niederlehme (= früheres “Nachrichten-Kommando” der HVA) zur Sicherstellung der sogenannten „Feld-Führung“ der KVP;
- Nachrichtenbataillon 5 der KVP-TV Nord in Eggesin/Pasewalk;
- Nachrichtenbataillon 6 der 6. KVP-Infanteriebereitschaft in Prenzlau;
- Nachrichtenbataillon 8 der 8. Mechanisierten KVP-Bereitschaft in Schwerin;
- Nachrichtenbataillon 9 der 8. Mechanisierten KVP-Bereitschaft in Eggesin.
Die ab Frühsommer 1953 beginnende Umgliederung der Polizei-Bereitschaften im Bereich der KVP-TV in Dessau, Leipzig und Dresden wurde durch den Volksaufstand in der DDR am 17. Juni 1953 abrupt unterbrochen: Bereits ab August 1953 begann eine grundlegende Reorganisation und drastische Reduzierung der KVP sowie der dazugehörigen KVP-Nachrichtenbataillone.
Dabei wurden nun nur noch eine KVP-TV Süd in Leipzig und statt der ursprünglich geplanten neun nur noch drei KVP-Bereitschaften im Süden der DDR gebildet: 4. und 11. KVP-Infanteriebereitschaft in Erfurt bzw. Halle sowie 7. Mechanisierte KVP-Bereitschaft in Dresden mit entsprechenden NachrBtl.
Darüber hinaus wurde noch die 1. Mechanisierte KVP-Bereitschaft in Potsdam mit zugehörigem NachrBtl gebildet, die dem Stab der KVP direkt unterstellt war.
Im Oktober 1955 fand die erste Divisionsübung der KVP mit der 7. Mechanisierten KVP-Bereitschaft („7. Panzerdivision“) im Raum Nochten-Weißwasser statt.
Mit der Bildung kasernierter (Ausbildungs-)Verbände der Polizei in der Sowjetischen Besatzungszone auf Befehl der SMAD wurden bereits ab 1948 u.a. auch die Voraussetzungen für die spätere kurzfristige Aufstellung der Nachrichtentruppe der NVA geschaffen – nur durch die Existenz der KVP-Nachrichtenbataillone konnte der im März 1956 einsetzende Aufstellungsprozeß auch bei der Nachrichtentruppe der NVA bis Jahresende weitgehend abgeschlossen werden.
Fussnoten:
¹ Gemäß einer Statistik des Ministeriums für Staatssicherheit („Einschätzung der Lage in der NVA“) waren noch 1956/57 ca. 45% der Offiziere der NVA-Nachrichtentruppe ehemalige Wehrmachtsoffiziere. In der KVP dürfte deshalb ihr Anteil – insbesondere in den ersten Jahren ab 1948 – vermutlich noch deutlich höher gewesen sein.
² Die am 9. Juni 1945 gebildete Sowjetische Militäradministration in Deutschland (SMAD) wurde von der Regierung der UdSSR für die Verwaltung der sowjetischen Besatzungszone und zur Durchsetzung der zentral vorgegebenen Besatzungspolitik als Militärregierung eingesetzt. Ihre zahlreichen Fachorgane gingen zum überwiegenden Teil aus den politischen und administrativen Organisationselementen der bisherigen sowjetischen Truppenstäbe hervor. Der Chef der SMAD war zugleich Oberbefehlshaber der „Gruppe der Sowjetischen Besatzungstruppen in Deutschland“. Nach Auflösung der SMAD am 10. Oktober 1949 und formeller Übergabe der Regierungsgewalt an die DDR übernahm die neu gebildete „Sowjetische Kontrollkommission“ einen Teil der bisherigen Kontroll- und Koordinierungsfunktionen der SMAD.
³ Zunächst musste aber die „Graue Kaserne“ in Pirna genutzt werden, da in Schloß Sonnenstein vorübergehend aus der Sowjetunion zurückkehrende deutsche Flugzeugbau-Ingenieure und ‑Wissenschaftler mit ihren Familien untergebracht werden mussten.
⁴ bis 10. Oktober 1949 Vorläufer des DDR-Innenministeriums („MdI“)
⁵ Nicht zu verwechseln mit der „HVA“, der späteren „Hauptverwaltung Aufklärung“ des Ministeriums für Staatssicherheit
⁶ 5‑W-Kurzwellen-Sender, Tornisterempfänger “b”, 10-Watt-UKW-Panzerfunkgeräte, Feldfunksprecher “f”, Dezimeter-Richtfunkgeräte “Michael” (DMG‑5), Feldklappenschränke für 10 bis 60 Teilnehmer, Feldfernsprecher 33, Fernschreiber ST “Siemens” und Feldkabel
Quelle:
Tafel 43 der Bildtafelausstellung “Fernmeldetruppen – Gestern und heute”
Weitere Quellen und zusätzliche Informationen zum Thema:
- Kampe, Hans-Georg: Aus der Geschichte der Nachrichtentruppen der Nationalen Volksarmee, in: Telegraphen-/ Nachrichten-/ Fernmeldetruppen und Führungsdienste – Führungsunterstützung seit 1899, Hrsg.: Fernmeldering e.V. 1999 – S. 185 ff.
- N.N.: Geschichtliche Zeittafel über die Entwicklung der Nachrichtentruppe 1945 — 1990, in: Telegraphen-/Nachrichten-/Fernmeldetruppen und Führungsdienste – Führungsunterstützung seit 1899, Hrsg.: Fernmeldering e.V. 1999 – S. 249 ff.
- Kampe, Hans-Georg: Fernmeldetruppe und Militär – Die Geschichte der Fernmeldetruppe des Heeres, Teil „Nachrichtentruppe der NVA 1952 — 1990/Entstehung und Ende der Nachrichtentruppe der Nationalen Volksarmee“
- N., N.: Aus Braun mach Rot, in FOCUS Magazin – Nr. 10 (1997) v. 09.09.2015 (FOCUS online)